GRUNDLAGEN DER AKUPUNKTUR 1. Stellenwert der Akupunktur Auch im Westen gewinnt die Akupunktur in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Bedeutung im medizinischen Alltag, besonders bei der Behandlung von Schmerzzuständen und chronischen und psychosomatischen Erkrankungen. Zhen Jiu, der chinesische Name für Akupunktur bedeutet Stechen und Brennen, was die Reizapplikation spezifiziert, also die Anwendung der „Nadelakupunktur“ in Verbindung mit der Moxibustion, d.h. dem Anwärmen von Hautstellen. Auch die Moxibustion ist ein essentieller Teil der chinesischen Medizin. Nach der pathogenetischen Vorstellung der rationellen Medizinsystem wird durch Reizung von spezifischen Hautstellen, der Akupunkturpunkten, eine therapeutische Wirkung erzielt. Die chinesische Medizin beschränkt sich dabei nicht, wie das im Westen allgemein angenommen wird, auf die Therapie, sondern kennt auch ein ganzheitliches diagnostische System. Eine Akupunkturtherapie beruht also auch immer auf einer Diagnose im chinesischen Sinne. In China erkannte man in den letzten Jahrzehnten, dass die Kombination von traditioneller chinesischer und westlicher Medizin eine Bereicherung und Befruchtung bedeutet. In allen großen Städten Chinas wurde Ausbildungsinstitute für traditionelle Medizin aufgebaut, in denen man auch Forschungsgruppen bildetet. So wurden die Wirkungen der Akupunktur mit den Methoden der wissenschaftlichen Medizin untersucht. Vor allem auf die Erforschung der analgetischen Wirkung der Akupunktur wurde besonderes Gewicht gelegt. Durch die Akupunkturforschung kam es auch zu einer Anregung der Erforschung des Phänomens Schmerz im Westen. Schon in den 60er Jahren erkannten chinesische Forscher in Shanghai, dass neben neuronalen Mechanismen auch humorale Faktoren bei der Analgesie beteiligt sind. Mitter der 60er Jahre stießen auch sonstige Indikationen der Akupunktur und ihr weites therapeutisches Spektrum im Westen auf großes Interesse. Schon seit den 50er Jahren wurde in Deutschland die therapeutische Akupunktur vereinzelt von niedergelassen Ärzten angewendet. Zu einem deutlichen Anstieg des Interesses, auch an vielen Kliniken und Universitäten, kam es erst in den 70er Jahren. An vielen Zentren in Europa und Amerika führte man klinische Untersuchungen durch, die die therapeutischen Wirkungen der Akupunktur bei verschiedenen Erkrankungen nachwiesen. Man erkannte, dass Akupunktur in den westlichen Ländern auf den Wegen, als anerkanntes Heilverfahren akzeptiert zu werden. Die Hauptindikationen der therapeutischen Akupunktur sind schmerzhafte Erkrankungen des Bewegungsapparates, wie HWS-Syndrom, Lumbalgien, Ischialgien und Arthrosen der verschiedenen Gelenke. Deshalb hat sich die Akupunkturtherapie in vielen orthopädischen Kliniken und Praxen durchgesetzt. Bei psychogenen Störungen wie Schlafstörungen oder Suchterkrankungen, sowie neurologischen Erkrankungen, w z.B. Migräne, Neuralgien und Epilepsien, ist ebenfalls eine gute Wirksamkeit zu verzeichnen. In vielen Schmerzkliniken wird Akupunktur wegen der ausgezeichneten analgetischen Wirkungen bei chronischen Schmerzzuständen als Routinemethode eingesetzt. Gute Wirkungen zeigt die Akupunkturtherapie auch bei Erkrankungen mit psychosomatischem Charakter, wie Asthma bronchiale, Ulkus, irritables Kolon, weiterhin auch bei vielen somatischen gastrointestinalen und urogenitalen Erkrankungen. Neben der analgetischen Wirkung wird v.a. auf die sedierende, homöostatische, immunstimulierende und psychisch ausgleichende Wirkung der Akupunktur zurückgegriffen. Die wissenschaftliche Grundlagenforschung der Akupunktur, die seit 1975 in über 200 Arbeiten publiziert ist, wird hier kurz zusammengefasst. Nur wenige Publikationen von chinesischen Grundlagenforschern werden berücksichtigt, da sie erst in den letzten Jahren in englischer Sprache zugänglich sind. Die zunächst bekannteste neuronale Therapie der analgetischen Akupunkturwirkung wurde 1965 von Melzack und Wall in der Gate Control Theory of Pain formuliert. Diese Theorie wird nicht mehr aufrecht erhalten, da sich die hypothetische Vorstellung von neuronalen Schleusen nicht bestätigen ließ. Beim Düsseldorf Akupunktur-Symposium wurde in August 1987 der aktuelle Stand der Akupunktur Grundlagenforschung umfassend referiert; so bestehen heute in kompetenten Kreisen keine Zweifel mehr an der Wirksamkeit der Akupunktur. Nach einem Reviewartikel des kanadischen Neurophysiologen Pomeranz stellt sich analgetische Wirkung der Akupunktur als Vorgang auf 3 Wirkebenen dar (s. nachfolgendes Wirkschema):
Der Nadeleinstich der Akupunktur führt zu einer Reizung von Rezeptoren der Gruppe II und III, die in den Muskeln liegen. Man verspürt ein Schwere- oder Druckgefühl in der Tiefe, De Qi von den Chinesen genannt, wenn die Nadeln für 10 – 20 Minuten im Gewebe liegen oder durch Drehen stimuliert werden, um die Reizstärke zu intensivieren. Der Nadelreiz kann auch mit Hilfe von elektrischen Impulsen verstärkt werden, man spricht von Elektrostimulation. Die Nervenreize von den Akupunkturnadeln ziehen zunächst zu den Hinterhörner des Rückenmarks , werden hier mehrfach umgeschaltet, um zu einer segmentalen Hemmung, der ersten Station der Schmerleitung zu führen, die mit Hilfe der Neurotransmitter Enkephalin und Dynorphin erfolgt . Dabei kommt sowohl der Schmerzreiz als auch die nicht schmerzhafte Afferenz der Akupunkturnadel aus dem gleichen Segment. ( und ). Im Hypothalamusgebiet, der 3. Ebene der Schmerzhemmung durch Akupunktur, konnte ebenfalls eine Endorphinausschüttung (β-Endorphine) nachgewiesen werden . Han Jisheng vom Pekinger Physiologischen Institut fand ein System von Kerngebieten im Mittelhirn, das „Mesolimbic loop“, das durch Akupunktur aktiviert, Schmerzen reduziert. Diese mesolimbische Analgesie-Schleife besteht aus dem periaquäductalen Grau, Nucleus accumbens und dem Habenula. Die hier beschriebenen Wirkungsmechanismen wurden zum größten Teil durch europhysiologische und neurochemische Untersuchungen an Versuchstieren gewonnen. Zusammengefasst aktiviert Akupunktur ein köpereigenes System der Schmerzkontrolle auf 3 Wirkebenen: 1. Auf Rückenmarksebene erfolgt eine segmentale Hemmung der Schmerzreize durch nicht schmerzhafte Reize aus Muskelspindeln vom Typ II und III, die von den Akupunkturnadeln kommen. Neurotransmitter ist hier Enkephalin und Dynorphin . 2. Eine absteigende Hemmung der Hinterhornneurone, über Monoamine vermittelt, erfolgt durch Nervenreize vom Mittelhirn, vom periaquaductalen Grau und vom Nucleus Raphe . 3. Nervenreize von der Akupunkturnadeln wirken daneben auf den Hypothalamus und führen hier zu einer Endorphinausschüttung . Neueste Untersuchen von Heine, Anatom an der Universität Herdecke, zeigen, dass Akupunkturpunkte Perforationen der oberflächlichen Körperfascien mit durchtretenden Gefäßnervenbündeln entsprechen. Der Vergleich der Lokalisation von perforierenden Gefäßnervenbündeln durch die oberflächliche Körperfascien (Durchmesser 2-8 mm) an Leichen mit der Lage klassischer Akupunkturpunkte ergab einen hohen Grad an Übereinstimmung. Das Gefäßnervenbündel ist im Perforationsbereich in lockeres, wasserreiches Bindegewebe gehüllt. Dadurch erklärt sich der niedrigere elektrische Widerstand (erhöhter Summton Elektroakupunkturgerät) im Bereich der Akupunkturpunkte, ein Phänomen das seit der 60er Jahren bekannt ist und häufig zur Lokalisation von Akupunkturpunkten benutzt wird. Die Perforationsstellen der Gefäßnervenbündel könnten das morphologische Korrelat für die Akupunkturpunkte bilden. |